Seit urdenklicher Zeit wurde
in Haselbach am Sonntag nach Martini Kirchweih gefeiert. Da war die Arbeit
auf dem Feld getan. Die jungen Leute, die den Sommer über auf Höfen
im Hessischen arbeiteten, waren wieder daheim im Dorf. Ein Schwein oder
ein Hammel war geschlachtet, Keller und Speicher mit Vorräten für
die kommende Winterszeit gefüllt. Der Schöffers August war mit
der Schafherde der Schäfereigenossenschaft auf die nahe Dorfwiese,
auf die Sennerles-Wiese, gezogen, denn schon bald kamen die Schafe wieder
in ihre heimatlichen Ställe.
"Heut is Kermes, morn is Kermes un die ganze
Woche un bann mei Vodder e Säula schlocht, no hömm mer wos zu
kocha."
Kirchweih war das Fest für alle Dorfbewohner.
Es begann am Sonntag mit dem Hochamt in der Kirche mit viel Weihrauch
und mit dem Lied "Ein Haus voll Glorie schauet...". Der anschließende
Gang zum Friedhof, zum Kirrfich, war selbstverständlich. Das Mittagessen
war üppiger als gewöhnlich. Die Leberklößchensuppe
gehörte dazu, der Braten, "en gfüllde Gögger"
und "halbseidene Gläss" oder "selwergemochde Nuudl".
Zum Nachtisch gab es Pudding und eingemachte "Kesche". Die Verwandtschaft
von auswärts kam am Nachmittag zu Kaffe und Kuchen, zu Maddeblooz
und Bröselesblooz.
Die Burschen zogen mit einem Fässchen Klosterbier
zum Bürgermeister, um die Erlaubnis zum Kermesfeiern einzuholen.
Abends beim Kirchweihtanz stellten sich die Kirchweihpaare der Dorfbevölkerung
vor. Zuvor hatten die Musikanten drei Extratouren für sie gespielt.
Am Montagvormittag waren die Burschen mit dem Saubermachen
des Platzes um die Linde beschäftigt. Das Laub wurde entfernt und
die Tanzfläche mit Sägemehl bestreut. Die Mädchen hatten
an den Hut des Burschen ein Sträußchen zu befestigen.
Im Lauf des Vormittags spielten die Musikanten am Haus jedes Kirchweihmädchens
einige Volkslieder, die Hofroie. Das Mädchen gab dafür den Musikanten
eine Kleinigkeit zu Essen und zu Trinken. Meist bekamen sie noch eine
Flasche Schnaps extra, die in der mitgetragenen Kötze, im Huggelkorb,
verstaut wurde. Auch die Gastwirte bekamen an diesem Morgen ein Ständchen.
Der Höhepunkt am Kirchweihmontag war der Zug der
Kirchweihpaare zur Dorflinde, der Lennezug, und der Tanz um die Linde.
Im Sonntagsanzug und am Hut das Sträußchen, so erschien der
Bursche im Elternhaus des Mädchens, mit dem er "in die Lenne"
ziehen wollte. Dem Hausvater hatte er eine Maß Bier mitgebracht.
Das Mädchen war in festlicher Tracht gekleidet, die von der Mutter
auf die Tochter vererbt wird. Zur Haselbacher Tracht gehört der weiße
leinene und der rote wollene Unterrock, der schwarze Wollrock, das leinene
Hemd mit langem Arm, das mit Perlen bestickte schwarze Samtmieder, die
weiße Halbschürze mit Spitzeneinsatz, das um die Schultern
gelegte bunte Seidentuch, mit einer Brosche gehalten, weiße Wollstrümpfe,
die schwarze Bänderhaube und der Silbertaler an der Silberkette.
Auf der Dorfstraße wartete man dann auf die anderen
Trachtenpaare, um sich an der Gastwirtschaft zum Zug in die Linde aufzustellen.
Der Biermoo, mit dem Bierfaß auf hölzernem Schubkarren, führte
den Zug an. Ihm folgten die Musikanten mit flotter Marschmusik. Dann kamen
die Trachtenpaare mit dem Kuchenträger, dem Blooztröer, der
einen runden Streuselkuchen trug. Die Burschen schwenkten die Bierkrüge
mit Juhuu-Rufen, die schon ein wenig heißer klangen. Die Musikanten
und die Trachtenpaare stellten sich in der Linde auf. Der Biermoo zapfte
das Bierfass an und die Burschen verteilten in den mitgebrachten Krügen
Bier an die Zuschauer. Der Blooztröer verteilte den Kuchen an die
umstehenden Kinder.
Mit einem Walzer wurde der Tanz um die Linde eröffnet. Zwischen den
Tänzen wurden Lieder wie "Im schönsten Wiesengrunde"
und "Schön ist die Jugend" von den Trachtenpaaren gesungen.
Zwischendurch teilten die Burschen wieder Bier aus. Den Trachtenmädchen
wurde Likör gereicht.
Waren alle Touren getanzt und das Bierfass geleert, dann marschierten
Biermoo, Musikanten, Blooztröer und die Trachtenpaare aus der Linde
heraus in eine Gastwirtschaft und verbrachten dort mit den Dorfbewohnern
einige Stunden bei froher Unterhaltung und Tanz.
Am Kirchweihdienstag wurde der "Gögger gschlöönd".
Ein Bursche trug eine Stange, an die ein toter Hahn gebunden war. Andere
trugen als Symbol des Hahnes Äpfel, die mit Federn geschmückt
waren. Mit der Blasmusik zogen sie durchs Dorf zu bestimmten Treffpunkten.
Mit verbundenen Augen durften Frauen und Mädchen für einen Obulus
nach den Äpfeln schlagen. Trafen sie den Apfel, so bekamen sie den
toten Hahn. Aber oft wollten sie gar nicht den Apfel, sondern viel lieber
einen Burschen treffen.
"Bann Kermes is, bann Kermes is, no schlocht
mei Vodder en Book, no tanzt die oll Marie-Luis mit ihrn veressene Rook"
Am Dienstagabend traf sich die Dorfbevölkerung
in der Gastwirtschaft beim traditionellen "Hammlessen". Für
ein bis zwei Mark konnte jeder essen soviel er wollte. Zuerst gab es Leberklößchensuppe,
dann Hammelragout und Rohe Kartoffelklöße. Den passenden Hammel
hatte der Schöffers August schon lange aus der Herde ausgesucht gehabt.
Der Metzger, der Wixersch Fädd, hat ihn geschlachtet. Unter Aufsicht
der Wirts Elli ist das Essen von den Kirchweihpaaren zubereitet worden.
Zuerst ist das Fleisch für die Suppe gekocht worden. Viele Hände
waren dann nötig, um das Fleisch von den Knochen abzulösen,
ozuläffeln, und klein zu schneiden für das Ragout.
Einige Burschen waren derweil mit dem Handziehwagen, mit dem Zerrwöö,
von Haus zu Haus gezogen und hatten einige Zentner Kartoffeln eingesammelt.
Diese wurden dann von Hand geschält und gerieben und zirka 1200 Klöße
daraus geformt (es sollen manchmal vier Hammel und 1500 Klöße
gewesen sein). Die Kirchweihpaare haben das Essen serviert.
"Heut is Kermes, morn is Kermes un
die ganze Woche un bann der liewe Sontich kömmt, no hömm mer
nix zu kocha. No kocht die Muedder Gwötschlesbrei, es Härrla
taucht sei Schnorre nei, Himmel, Herrgott, Sabrament, en Härrla sei
Schnorre brönnt."
Am Sonntag drauf ist mit einem Tanzabend die
Nachkirchweih gefeiert worden und dann begann die "stille Zeit"
bis Fassnacht, in der früher kein Tanzvergnügen stattfinden
durfte.
Die Jugend traf sich in den Kart- und Spinnstuben. Am 5. Dezember war
Nikolausabend. Mit Sankt Nikolaus und Knecht Rupprecht kam noch das Zuckermännle.
Es erschien mit Kniebundhose, weißem Hemd, weißen Strümpfen
und hatte ein großes Trachtentuch um die Schultern gebunden. Für
die Mädchen, die an Kirchweih "in die Lenne gezöönd"
waren, hatte es große Lebkuchenherzen mit der Aufschrift "vom
Nikolaus" dabei.
Am 8. Dezember war Kirchweih entgültig vorbei, da hieß es:
"leckmichamarsch". Die Kirchweihpaare trennten sich wieder,
doch aus manchen sind auch Ehepaare geworden.
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